Predigt "Wählt das Leben"

Mose spricht zum Volk Israel. Sie alle stehen am Grenzfluss Jordan. Alle warten darauf, dass es ins neue, verheißene Land geht.

Mose sagt:

11 Denn dieses Gebot, das ich dir heute gebiete, ist nicht zu unbegreiflich für dich und ist dir nicht zu fern. 

12 Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer wird für uns in den Himmel hinaufsteigen und es uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun? 

13 Und es ist nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer wird für uns auf die andere Seite des Meeres hinüberfahren und es uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun? 

14 Sondern ganz nahe ist dir das Wort, in deinem Mund und in deinem Herz, um es zu tun. 

15 Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse, 

16 indem ich dir heute gebiete, den HERRN, deinen Gott, zu lieben, auf seinen Wegen zu gehen und seine Gebote, seine Ordnungen und seine Rechtsbestimmungen zu bewahren, damit du lebst und zahlreich wirst und der HERR, dein Gott, dich segnet in dem Land, wohin du kommst, um es in Besitz zu nehmen.

17 Wenn aber dein Herz sich abwendet und du nicht hörst und du dich verführen lässt und dich vor andern Göttern niederwirfst und ihnen dienst, 

18 dann kündige ich euch heute an, dass ihr ganz gewiss umkommen werdet. Ihr werdet eure Tage nicht verlängern in dem Land, in das du über den Jordan ziehst, um hineinzukommen, es in Besitz zu nehmen. 

19 Ich rufe heute den Himmel und die Erde als Zeugen gegen euch auf: das Leben und den Tod habe ich dir vorgelegt, den Segen und den Fluch! So wähle das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen, 

20 indem du den HERRN, deinen Gott, liebst und auf seine Stimme hörst und ihm anhängst! Denn das ist dein Leben.

 

Liebe Gemeinde,

 

„Sag mal, du bist doch Pfarrerin. Kann ich dich da mal etwas fragen?“ - dieser Satz begegnet mir oft. Wenn ich ihn höre, spitze ich immer die Ohren. Was dann an Fragen oder Gedanken kommt, finde ich nämlich hochspannend. Denn meistens sind es Menschen, die nur am Rand mit Kirche und Gott zu tun haben, die so fragen.

 

Die letzte, die diese Frage formulierte, hatte ein ganz wunderbares Anliegen: „Mein Mann und ich, wir würden uns gern bedanken. Bei Gott. Bietest du da etwas an?“

Ein bisschen komme ich bei der Frage ins Schwitzen. Ich frage nach, worum es geht.

„Wir glauben schon, dass es einen Gott gibt und ich bete auch jeden Tag und sage Danke und bitte darum, dass meiner Familie nichts passiert. Wir haben auch schon wirklich viel Schweres erlebt und ich weiß, dass uns da wer durch getragen hat. Jetzt würde ich mich gern würdig bedanken. Gibt es dafür etwas? Ein Ritual oder so? Wir wollen es gern richtig machen.“

 

Jetzt kann ich zumindest antworten. Ich erzähle ihr von meinem Glauben. Dass es da nicht wirklich ein „richtig“ oder „falsch“ gibt. Und ich bin unglaublich froh, über diesen Predigttext! Denn mit ihm kann ich ihr sagen: „Du, egal, was du machst. Es gibt eine Stelle in der Bibel, die sagt: Gott hat dir und jedem Menschen auf die Lippen und in das Herz gelegt, was er will und was der Beziehung zwischen dir und ihm gut tut. Deswegen kannst du es nur richtig machen, das Danke-Sagen - wenn es aus deinem Herzen oder deinem Mund kommt.“

Ich mache ihr und ihrem Mann Mut, sich etwas zu überlegen, was für sie als Danke stimmt.

 

Dieser Vers geht nach:

14 Sondern ganz nahe ist dir das Wort, in deinem Mund und in deinem Herz, um es zu tun. 

Gott ist da. Gott ist das Wort und das Wort ist bei Gott.

Gott ist so nah bei den Menschen, dass wir uns nicht verrenken oder ein Bein ausreißen müssten, um in diese Nähe zu kommen: 2 Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer wird für uns in den Himmel hinaufsteigen und es uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun? 

13 Und es ist nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer wird für uns auf die andere Seite des Meeres hinüberfahren und es uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun? 

 

Das finde ich einen starken Glaubenssatz: Gott hat eine/r Jeden ins Herz gelegt, was zu tun und zu glauben ist. Eine Art Intuitive Theologie sozusagen.

Wenn ich ernst nehme, was da steht, dann liegt die Vermutung nahe, dass jeder Mensch von Geburt an, eine Beziehung zu Gott hat. Weiß, wer und wie Gott ist. Was Gott freut, was Gott traurig macht, was Gott WILL. Man könnte auch sagen: eine innere Sensibilität - das Deuteronomium nennt das 8 Verse vorher ein „beschnittenes Herz“ - um Gott mit ganzem Herzen zu lieben.

Wenn das wahr wäre, dann…

Dann wäre alles richtig gut, oder? Das wäre ein würdiges Leben, voller Segen in Gottes Schöpfung.

 

Aber so ist es nicht. So sieht unsere Welt nicht aus.

Denn wieder stehen 10 Tausende an einem Grenzfluss und hoffen, in ein besseres Land zu kommen. Dieses Mal ist es nicht der Jordan, sondern der Evros. Die Menschen warten auf ein besseres Leben. Wollen ihre (Wüsten)Wanderung beenden.

Wollen das Leben wählen. Doch sie können nicht. Denn auf der anderen Seite stehen andere Menschen, die das verhindern.

So werden Kinder mit Tränengas beworfen, Geflüchtete militärisch zurück gedrängt.

Das alles erinnert mehr an den Fluch, von dem Mose spricht. Nicht an den Segen.

 

Was ist schief gegangen? Zwischen „dem Wort Gottes in unserem Herzen“ und unserer Realität? Irgendwie Scheint die Beziehung zu Gott, das Wissen um seinen Willen verschütt gegangen zu sein. Verblasst neben tausenden Katastrophen, Neid, Angst und Kriegen.

Wer noch weiß, was eigentlich zu tun wäre, der traut sich vielleicht nicht, etwas zu tun, oder zu sagen.

Auch nicht in Kirchen. Nicht, wenn unsere Kirchgemeindeglieder Dinge sagen wie: Das Geld der Kirche soll im Dorf bleiben und nicht dafür ausgegeben werden, dass Flüchtlingsschiffe gekauft werden.

 

Dabei müssten gerade wir, die wir uns Christinnen und Christen nennen uns dafür einsetzen, dass Menschen das Leben wählen können.

So wähle das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen, 

20 indem du den HERRN, deinen Gott, liebst und auf seine Stimme hörst und ihm anhängst! Denn das ist dein Leben.

Denn Gott ist dein Leben.

 

Am Leben zu bleiben, am Leben erhalten zu werden, das ist ein Ausdruck der Fürsorge Gottes. Das ist Gottes Plan. Unser Gott ist ein Lebensbejahender Gott.

Wir müssen uns entscheiden, ob wir diesen Plan mit umsetzen wollen. In der Gegenwart. Jetzt. Heute.

 

15 Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse, 

16 indem ich dir heute gebiete, den HERRN, deinen Gott, zu lieben, auf seinen Wegen zu gehen und seine Gebote, seine Ordnungen und seine Rechtsbestimmungen zu bewahren, damit du lebst

 

Dass es Fehler in der Vergangenheit gegeben hat - das steht außer Frage. Sowohl in der Weltgeschichte, als auch im Leben jedes Einzelnen. Aber das Wunderbare ist eben, dass Gott uns nicht auf unsere Fehler fest legt. Gott bewegt sich immer wieder auf uns zu. 

Und wir auch auf ihn?

Die Frau, die mich nach der Möglichkeit Gott Danke zu sagen gefragt hat, bewegt sich jeden Tag auf Gott zu. Obwohl sie nicht zu einer Kirchgemeinde gehört. Sie braucht nur jemanden, der ihr Mut macht, der Sprache ihres Herzens hin zu Gott zu folgen.

Sie ist für mich ein Vorbild.

Sie macht mir Mut und gibt mir Hoffnung in einer Zeit, in der ich selten wahrnehme, dass Menschen aus Gott in ihrem Herzen heraus handeln. 

Das macht mir Mut im Blick auf das Volk, das am Fluss wartet.

 

Dass am Ende stehen kann: Wählt das Leben.